Mai 2025
18.5.2024
Ich bin Wolfs Fahrrad. Schon seit Tagen bemerke ich bei ihm diese besondere Nervosität. Die nur die Menschen spüren, die ihn gut kennen. Ich habe zwar keinen Namen, bin aus Metall, aber ich besitze immerhin eine Seele. Ich pflege nach all den Jahren eine symbiotisch Beziehung zu Wolf. Ich bin mit ihm vertraut wie mit meinen eigenen Schweißnähten. Das Glück liegt bei ihm im Unterwegssein, auf den Straßen dieser Welt, im Fremden, das seine Zurückhaltung herausfordert. Weg von allem, was immer so nützlich und notwendig daher kommen muss. Weg von der Erinnerung an den Winter zu Hause, Düsternis und Kälte. Es ist Frühling und Wolf muss los. Am besten allein. Mit mir. Mit sich selbst. Sich wirklich aufgehoben fühlen, wenn die Welt an ihm vorbeirauscht und er an ihr. Flucht vor dem, was war oder was sein wird. Ich psychologisiere wie jedes Fahrrad zu viel, hinten auf diesen grasgrünen Bus aufgeschnallt, Richtung Brandenburger Tor. Das Brandenburger Tor. Jeder Fahrradfahrer will zwischen dessen Säulen unter der Quadriga durchradeln, als würde er von einer vergangenen Welt in die gegenwärtige wechseln. Das Ding ist eine Zeitmaschine, die sich mit Muskelkraft antreiben lässt. Wolf will da natürlich auch durch. Als Eröffnungsgeste unserer Fahrradtour. Pathos symbolischer Handlungen. Immerhin als Ziel hat er die kleine zarte Meerrjungfrau, die so sehnsuchtsvoll auf die Ostsee in Kopenhagen blickt, auserkoren. Das beruhigt mich dann doch und erfüllt meine gut geschmierten Kettenglieder mit echter Freude.
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